Der Kreis Groß Wartenberg im Mittelalter
Innere Verhältnisse im Mittelalter am Beispiele des Kreises Groß-Wartenberg
*Quelle: "Geschichte der freien Standesherrschaft, der Stadt und des
landrätlichen Kreises Gross Wartenberg" von Joseph Franzkowski
(Weihnachten 1911)
"...Eine Stadt gab es im ganzen Lande nicht, sondern nur Burgen mit einer
Kapelle, bei denen ein Markt für die Bedürfnisse der Landbewohner stattfand.
Das Volk hatte kein Salz, kein Eisen, keine Münzen, kein Metall, keine
brauchbaren Kleidungsstücke und Schuhwerk, es weidete allein nur seine
Herde." So schildert ein Leubuser Mönch ín einigen lateinischen Versen den
Zustand des Landes gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts und diese
Schilderung darf wohl auch auf unsere Gegend Anwendung finden. Gerste, Hafer,
Roggen, Hirse und Flachs wurden hauptsächlich angebaut. Die Viehzucht war
beträchtlich. Wilde Aepfel und Birnen waren die heimischen Obstsorten. Angeregt
namentlich durch die fleißigen Mönche kam der Garten-, Gemüse- und Weinbau, die
Obstbaumzucht und Teichwirtschaft in Aufschwung. Bienenzucht wurde längst schon
eifrig betrieben und die Herzöge betrachteten den in Wäldern und Heiden
gewonnenen Honig als ihr Eigentum, worüber ein herzoglicher Beamter, der
Honiger, Aufacht gab. Aus Honig bereitete man Met, aus Wachs Kirchenkerzen. In
den ausgedehnten Waldungen gab es außer unserem jetzigen Wilde noch Bären,
Elenhirsche, Auerochsen, Luchse und Wölfe. ...
Durch Wölfe hatte unsere Gegend noch im 18. Jahrhundert viel zu leiden. ...
Die Gewässer waren sehr fischreich und an Ihren Ufern baute der Biber seine
kunstvollen Wohnungen. Letzterer fand sich in so großer Zahl vor, daß der
Herzog besondere Biberjäger anstellte. Schwanz und Füße dieser Tiere galten als
Leckerbissen für die fürstliche Tafel und Biberpelze waren sehr geschätzt. ...
Die eingeborenen Polen gerieten nach und nach in völlige Leibeigenschaft,
gehörten zum Grund und Boden des Gutes und mußten drückende Dienstpflichten
leisten. Als solche werden urkundlich unter polnischen Bezeichnungen erwähnt:
poradlne = Pflug- oder Hufenzins, podworowe = Hof- oder Platzsteuer, podymne =
Rauchfangsteuer, lesne = Wald- oder Holzsteuer, targowe = Marktsteuer, powoz =
Verpflichtung zu Hand- und Spanndiensten, przewod = Verpflichtung zur
Wegweisung, stroza = Verpflichtung zur Bewachung des Herrenhofes und der Burg,
zur Hilfeleistung bei Burg- und Festungsbauten; przesieka = Verpflichtung zur
Aufeisung der gefrorenen Mühl- und Wallgräben, zum Fällen des Holzes, zum Gras-
und Getreidemähen; psare = Verpflichtung, den herzoglichen Jägern und Hunden
Unterkunft und Unterhalt zu gewähren; narzaz = Verpflichtung, Schweine und
Schinken in die herzogliche Küche zu liefern; stan = Verpflichtung der Adligen
dem Herzoge auf Reisen oder auf der Jagd Nachtherberge zu geben u. s. w.
Ueberdies war jeder waffenfähige Mann zum Kriegsdienste verpflichtet. Manche
dieser allgemeinen Lasten wurden in Geldabgaben verwandelt. Weil die Untertanen
wegen dieser Verpflichtungen vielfach harten Bedrückungen ausgesetzt waren,
erließ die Synode zu Leneczye, (1180) welcher auch Herzog Boleslaw und Bischof
Zyroslaw II. von Breslau beiwohnten, strenge Verordnungen und der Metropolit,
Erzbischof Zdzyslaw von Gnesen, bedrohte alle Uebertreter derselben mit der
Strafe des Kirchenbannes. Die Burg, von welcher aus die Verwaltung des dazu
geschlagenen Gebietes geübt wurde, war auf eine Erhöhung in den Sumpf gebaut
und mit einem Wall umgeben. In der Burg wohnte der Kastellan oder Burggraf, der
als Statthalter des Landesherrn anfänglich große Macht und hohes Ansehen besaß
und als politischer und militärischer Chef des Kastellanei-Distrikts die ganze
ausführende Gewalt in Händen hatte, weshalb er auch über die in der Burg
liegende bewaffnete Mannschaft verfügte. ...
Obwohl die Existenz der Burg Wartenberg bis ins letzte Viertel des XIII.
Jahrhunderts urkundlich sich nicht erweisen läßt, so ist doch mit ziemlicher
Sicherheit anzunehmen, daß sie längst schon bestanden hat. ...
Unbewohnte oder dünn besetzte Ländereien konntenden Fürsten nur geringe Erträge
liefern. Um sich größere Vorteile zu verschaffen, wie die schlesischen Herzöge
sie, dank Ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zu deutschen Fürstenhöfen und
ihres Aufenthalts in Deutschland kennen gelernt hatten, suchten sie deutsche
Ansiedler in Ihr Land zu bringen. Dies konnte Ihnen aber nur dann gelingen,
wenn sie denselben ihre Freiheit, ihre altgewohnten Rechte und liebgewonnenen
Einrichtungen beließen und dazu noch erwünschte Vergünstigungen gewährten.
Welcher Deutsche hätte sich wohl auch in die Verhältnisse hineinfinden können
und zur Übernahme solch ungewohnter Lasten herbeigelassen, wie diejenigen es
waren, unter denen die eingeborenen polnischen Einwohner lebten! Die
bedeutenden Vorzüge, deren die deutschen Kolonisten sich erfreuten und die
großen Vorteile, welche den Herzögen erwuchsen, waren sowohl für diese, als
auch für die anwohnenden polnischen Leibeigenen oft die Veranlassung, schon
bestehenden Ortschaften deutsches Recht zu verschaffen. Eine allgemeine
Einführung des deutschen Rechts fand nicht statt; sie geschah nur einzelnweise
nach und nach. Zur Anlage eines neuen oder zur Begabung eines bereits
bestehenden noch polnischen Ortes mit deutschem Recht gehörte vor allem die
urkundliche Genehmigung des Landesherrn und dessen Verzicht auf verschiedene,
ihm bisher zustehende Rechte, insbesondere wurde die Befreiung von der
Kastellangerichtsbarkeit ausgesprochen. ...
Der Hauptvorteil der Einwohner eines nach deutschem Recht ausgesetzten Ortes
bestand in der eigenen Gerichtsbarkeit und der Ableistung gemessener Dienste.
Es eröffnete sich nun für jeden die Aussicht, durch Fleiß und Sparsamkeit sein
Eigentum zu vermehren und die Früchte der Arbeit im Kreise der Familie in Ruhe
zu genießen. Solch Bewußtsein wirkte erhebend und anspornend. Bald zeigte das
Land ein verändertes Gesicht. Wälder wurden gelichtet und gerodet, Sümpfe
getrocknet, der Lauf der Flüsse geregelt, - die Landwirschaft blühte auf. Wir
dürfen mit gutem Grund annehmen, daß in der zweiten Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts schon eine beträchtliche Anzahl von Dörfern unserer Gegend zu
deutschem Recht ausgesetzt worden ist, ein völlig zuverlässiger Beweis kann jedoch
nur für zwei Fälle erbracht werden und zwar durch die betreffenden
Aussetzungsurkunden. ...
Die großen Vorteile, welche der Landmann ursprünglich bei Auslegung der Dörfer
zu deutschem Recht genoß, waren nicht von Bestand. Seine Freiheiten gingen mit
der Zeit meist verloren, neue Lasten und immer größere Geld- und Getreidezinsen
und Dienste wurden ihm auferlegt. Wenn man weiß, wie ansehnlich das war, was
der Landesherr unter dem Namen des Geschosses und Münzgeldes erhob und in der
Regel dasselbe zugleich mit den Obergerichten zuweilen über Hals und Hand, ja
mit dem Rechte zu hängen und zu blenden, verpfändete und verkaufte, so begreift
man, wie nach und nach die Bauern, nunmehr wirklich Gerichtsinsassen und bald
Untertanen des Obergerichtsherrn von diesem, der so viel von Ihnen zu erheben
und über ihr Wohl und Wehe in seiner Hand hatte, anfänglich bitt- und
ausnahmsweise veranlaßt, dann gewohnheitlich genötigt, endlich durch vom Herrn
aufgenommene Grundbücher (Urbarien) dazu verpflichtet, immer weiter bis zur
Gutshörigkeit, ja Leibeigenschaft herab gedrückt werden konnten. Dazu kamen
später noch Laudemien, Mark- und Zählgroschen. Zu den Lasten, denen die
bäuerlichen Besitzer in den Zeiten der Leibeigenschaft und Hörigkeit außer den
Natural- und Geldleistungen insbesondere noch unterworfen waren, gehörten die
Roboten, persönliche Dienstleistungen gemeiner Art, welche bäuerliche Besitzer
entweder ganz unentgeltlich oder doch nur gegen eine in der Regel
unverhältnismäßig geringe Vergütung ihren Grundherrn schuldig waren. Sie
bestanden in den verschiedensten Spann-, Hand-, Wacht-, Bau-Diensten,
Botengängen etc. Spanndienste konnten selbstverständlich nur von bespannten
Wirten verlangt werden; Handdienste leisteten meist diejenigen, welche keine
Anspanngüter (Pferde und Ochsen) besaßen. Das notwendige Arbeitsgerät mußte der
Verpflichtete mitbringen. ...
Das Maß der Roboten war nicht überall dasselbe; es hing hauptsächlich vom
Bedürfnis der Bewirtschaftung jedes einzelnen Gutes und vom rechtsverjährten
Herkommen ab. Diese Verschiedenheit konnte einen keineswegs gedeihlichen
Einfluß ausüben. Bedrückung auf der einen, Unzufriedenheit und Erbitterung auf
der anderen Seite gaben Anlaß zu beständigen Klagen. ...
Während und nach dem 30 jährigen Kriege, da viele Dörfer verwüstet, viele
Felder in Wälder verwandelt waren, viele Bauergüter ihre Eigentümer verloren
hatten, zogen die Besitzer der Rittergüter die besten Grundstücke ein und
vereinigten sie mit ihren Vorwerken, gründeten wohl auch, was mehrfach geschah,
neue Rittersitze, gaben herbeigezogenen Ansiedlern nicht mehr ganze Bauergüter,
sondern setzten nur Gärtner oder Häusler aus, weigerten sich obendrein die
Lasten der eingezogenen Güter zu tragen und wälzten dieselben den Untertanen
zu, die jetzt mit doppelter Anstrengung die vergrößerten bezw. vermehrten
Besitzungen ihrer Grundherrn bearbeiten mußten. Dies war überall dort der Fall,
wo wir heut noch entweder gar keine oder nur sehr wenige Bauergüter, dafür aber
viele Gärtner- und Häuslerstellen finden. - Die Mehrzahl des Landvolkes lebte
in jämmerlichen Zuständen. Konnte es denn aber anders sein? War es dem an die
Scholle gebundenen, dem Gutsherrn zu unangemessenen Diensten verpflichteten, in
förmlicher Leibeigenschaft gehaltenen, gleichsam zum lebenden Inventar der
Herrschaft gehörenden Landmanne möglich, sich zu wirtschaftlicher
Selbständigkeit zu erheben?!..."